Möchte man Kerngedanken (norddeutscher) Sozialdemokratie zusammenfassen, bieten sich gegenwärtig ohne jegliches Zögern einige Schlagworte an: Elitarismus, Sozialchauvinismus, Kulturabbau und spätestens mit Sigmar und Günter wieder der Antisemitismus.
Wenn das Wörtchen „wieder“ für Verwirrung oder Verwunderung sorgen sollte, sei an dieser Stelle an einen eher unrühmlichen Umgang der frühen Sozialdemokratie mit antisemitischer Agitation erinnert.
Sprach Bebel vom „Sozialismus der dummen Kerls“ so erkannte er, dass der Antisemitismus in einem sozioökonomischen Kontext eine Personalisierung sozialer Konfliktfelder darstellte, derer jedoch, so zeigt es der Blick auf die Sozialdemokratie des vergangenen Jahrhunderts, kaum Tatkraft entgegenzusetzen geboten sei, da der Pöbel sein Heil letztlich doch in der Sozialdemokratie finden würde.
Dass dem sozialdemokratischen Denker Eduard Bernstein 1919 in einer parteiinternen Auseinandersetzung talmudischer Duktus vorgeworfen wurde, mag folglich kaum verwundern.
Verwunderung stiften jedoch norddeutsche Possen, deren Akteure meinen, dem Rechtsextremismus ließe sich am ehesten begegnen, indem man entsprechende Themen und Rhetorik einfach selbst besetzt.
Zu kulturellem Kahlschlag, den ein Bildungsminister veranlasst, welcher zugleich dubiose Publikationen in den Umlauf bringt, die u.a. einen Rostocker Professor hofieren, der in seinen Hörsäalen zuweilen zum europäischen Freiheitskampf gegen die „islamische Barbarei“ ermutigt, gesellt sich eine sozialdemokratische Rhetorik das Tabubruchs.
Jene Landes-SPD, die mit dem Portal „Endstation Rechts“ wirksam gegen rechte Untriebe vorzugehen meint, verlautbart in Form ihres Fraktionsvorsitzenden Dr. Nieszery zugleich, dass der alte Landser Grass mit seinem Pamphlet „mahnend“ gegen den „Zeitgeist“ rebellieren würde. Mehr noch sprach Nieszery von deutschem „Schuldkult“, dessen korrigierte Weichspülfassung „Schuldstolz“ weniger brandstiftend wirken dürfte. Den zudem notwendigen Verweis auf den allgegenwärtigen Antisemitismus, auch in der mecklenburgischen und vorpommerschen Gesellschaft, mag Nieszery nur als „intellektuell erbärmlich“ brandmarken.
Hatte Henryk M. Broder doch recht, als er 2008 im Innenausschuss postulierte, dass die Absurdität unserer Zeit ein Antisemitismus ohne Antisemiten sei?
Was also treibt Herrn Dr. Norbert Nieszery, welcher an anderer Stelle bereits in Bezug auf Dresden dem deutschen Opfermythos das Wort redete, wenn er einer DIG-Hochschulgruppe aufgrund angeblicher persönlicher Voreingenommenheit die sachliche Auseinandersetzung zum Thema Israel abspricht und sie wieder aus dem Schweriner Schloss einlädt?
Es sei festgehalten, dass eine Hochschulgruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft die „Abstraktionsfähigkeit“ für einen Gedankenaustausch abgesprochen, Günter Grass jedoch zugleich als ein würdiger Redner für die Verleihung eines Preises für den Einsatz gegen Rechtsextremismus gehalten wird.